Hethitische
Keilschriftafeln werden in Berlin konserviert und ediert
- Hugo Winckler (1863-1913)
Assyriologe
und Entdecker
hethitischer Keilschrifttafeln.
Die Grundlage der Hethitologie, d. h. der Wissenschaft von Sprache,
Geschichte und Kultur der Hethiter. bilden die vor dem Ersten
Weltkrieg in Boğazköy gefundenen Keilschrifttafeln. Die
Ausgrabungen an diesem ca. 200 km östlich von Ankara gelegenen Ort
wurden in den Jahren 1906,1907, 1911 und 1912 von dem Berliner
Assyriologen H. Winckler zusammen mit Th. Makridi Bey, dem Zweiten
Direktor des Istanbuler Museums, durchgeführt - zwar als Unternehmen
des Kaiserlich Osmanischen Museums, aber mit Mitteln, die von
privaten deutschen Geldgebern stammten. Von den etwa 10.000
numerierten Einzelstücken sind die meisten nur Fragmente, und viele
von ihnen bedurften der Konservierung. Aufgrund eines Abkommens mit
dem türkischen Museum wurden die meisten Tafeln – bis auf einige
repräsentative Stücke, die von Anfang an in Istanbul blieben – an
das Berliner Museum geschickt. Es war festgelegt worden, daß die
Tontafeln zurückgeschickt werden müssen, wenn sie konserviert,
fotografiert und veröffentlicht sind. Der letztgenannte Punkt ist
besonders wichtig, da er eine langfristige Beschäftigung mit den
jeweils noch nicht zurückgeschickten Texten ermöglichte.
So
war es kein Wunder, daß Berlin das Zentrum der Hethiterforschung
wurde.
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Die
Serie
"Boghazköi-Studien" (BoSt), in der B. Hrozný
1917 seine Erstentzifferung vorlegte,1
wurde von O. Weber, dem späteren Direktor der Vorderasiatischen
Abteilung, herausgegeben, während die ersten Keilschriftausgaben
von Boğazköy-Texten
von 1916 an als "Keilschrifttexte aus Boghazköi" (KBo),
von der Hand bekannter Assyriologen wie H. H. Figulla und E. F.
Weidner, von der Deutschen Orient-Gesellschaft veröffentlicht
wurden, ebenfalls mit O. Weber als Herausgeber.
Einer
der ersten, die sich über die Boğazköy-Texte
einen Überblick
verschafften, war der Schweizer Assyriologe E. Forrer in Berlin. Er
schrieb schon 1919 den Aufsatz "Die acht Sprachen der
Boghazköi-Inschriften",
der von E. Meyer der Berliner Akademie vorgelegt wurde,2
also noch vor der Arbeit Hroznýs
1920 über das gleiche Thema.3
Und schon 1922 erschien E. Forrers ausführlicher Überblick
"Die Inschriften und Sprachen des Hatti-Landes",4
der auf der Lektüre großenteils unveröffentlichter Texte beruhte.
Hroznýs
Darstellung des Hethitischen als einer indogermanischen Sprache rief
eine lebhafte Diskussion hervor, aber es gab zunächst keine
Sprachwissenschaftler, die genug von dem System der Keilschrift
wußten, um die Probleme zu verstehen, die diese Schrift für die
Wiedergabe einer indogermanischen Sprache so wenig geeignet macht. Um
sich ein objektives Bild vom Charakter des Hethitischen zu
verschaffen, studierte daher der Indogermanist F. Sommer (1875-1962),
damals in Jena,
die Keilschrift bei A. Ungnad. Er sah bald, daß Hrozný
in manchen Fällen durch den Anklang an eine indogermanische Wurzel
zu falschen Ansätzen verleitet worden war –
das bekannteste Beispiel ist ein Verbum dā-,
das wie lateinisch dare
"geben"
bedeuten sollte, während es in Wirklichkeit zwei hethitische Verben
gibt, von denen eines "nehmen", das andere "setzen,
stellen, legen" bedeutet. Auch in E. Forrers Skizze der acht
Sprachen fand F. Sommer bedenkliche Ungenauigkeiten. Er entschloß
sich deshalb, alles neu aus den Texten selbst zu erarbeiten, und
legte methodisch richtungsweisende Einzeluntersuchungen schon 1920
und 1922 in kurzen Aufsätzen vor.5
Wann F. Sommer zuerst mit H. Ehelolf in Kontakt kam, ist mir nicht
bekannt; jedenfalls schon früh, da ihre erste gemeinsame
Publikation, "Das hethitische Ritual des Pāpanikri
von Komana" ,6
bereits 1924 erschien.
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Hans
Ehelolf (1891-1939) findet seine Lebensaufgabe
Hans
Ehelolf, geboren 1891, promovierte 1914 in Marburg und
kam <noch im selben Jahr> an die
Vorderasiatische Abteilung (VA) der Berliner Museen, zunächst als
Volontär. Bereits 1915 wurde er Soldat und wegen seiner arabischen
Sprachkenntnis der Orientarmee zugeteilt. Nach Kriegsende kehrte er
ans Berliner Museum zurück, wo er sich zuerst noch den Texten aus
Assur widmete. Schon bald aber wandte er sich dem Hethitischen zu,
einem Gebiet also, auf dem –
wörtlich – noch
alles zu machen war. Von nun an wurde die Betreuung der
Boğazköy-Tafeln
zu seiner Lebensaufgabe.
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Zwar
habilitierte sich Ehelolf 1923 in Königsberg, aber aus dem Gefühl
der Verpflichtung gegenüber dem Boğazköy-Unternehmen heraus blieb
er beim Museum, obwohl ihn der Verzicht auf eine akademische
Karriere, wie er selbst mir einmal sagte, nicht leicht fiel. Auch als
er, viel später, an der Berliner Universität als Honorarprofessor
lehrte, blieb seine Haupttätigkeit am Museum, zuletzt als Kustos der
Tontafelsammlung.
In
seinen eigenen Arbeiten zeigte Ehelolf eine Meisterschaft in der
streng induktiven Methode, die F. Sommer gefordert hatte und die auch
für die anderen Hethitologen dieser ersten Generation, wie J.
Friedrich und A. Götze, zum Vorbild wurde. Mit Sommer verband ihn
eine enge Freundschaft, und seine Mitarbeit an Sommers beiden
hethitologischen Hauptwerken ist manifest.8
Ich erinnere mich, wie Sommer bei längeren Aufenthalten in Berlin
zusammen mit Ehelolf jede Lesemöglichkeit anhand
der Originaltafeln
durchdiskutierte. Zusammen gründeten sie die Zeitschrift
"Kleinasiatische Forschungen", die in drei Heften 1927-1930
erschien, danach aber leider aus finanziellen
Gründen nicht fortgeführt werden konnte.
Das
Boğazköy-Unternehmen hatte mehrere Aufgaben. Vordringlich war die
möglichst rasche Veröffentlichung der Texte. Zu diesem Zweck begann
die Vorderasiatische Abteilung schon 1921 ihre eigene Serie von
Textveröffentlichungen in Keilschriftkopien, die zur Unterscheidung
von den "Keilschrifttexten aus Boghazköi" der Deutschen
Orient-Gesellschaft den Titel "Keilschrifturkunden aus
Boghazköi" (KUB) erhielt. Die Mittel kamen aus einer
außerbudgetären Kasse, indem jeweils der Erlös aus dem Verkauf
eines Heftes für den Druck des nächsten verwendet wurde. Erst 1942,
als man befürchtete, daß eine solche "schwarze Kasse" den
Verdacht der damaligen Machthaber auf sich lenken könnte, wurde für
die Hefte 33 und 34 die Deutsche Orient-Gesellschaft als
herausgebende Körperschaft in Anspruch genommen. Von Heft 35 (1953)
an führt die Akademie der DDR die Serie weiter.
Für
Kenner des Museums mag es von Interesse sein, zu wissen, wo das
Boğazköy-Unternehmen untergebracht war: im Säulengang entlang dem
Spreeufer! In dem neben der Nationalgalerie noch stehenden Gebäude,
von uns respektlos "der Schuppen" genannt, befand sich
außer den Museumsdepots auch die Dienstwohnung des Ehepaars Ehelolf.
Zwischen den südöstlich, also der Straße zu, daran anschließenden
Säulen lag Ehelolfs Amtszimmer. Nach der anderen Seite schloß sich
eine lange Reihe von Räumen an: zunächst das Museumslaboratorium,
dann Frau Ehelolfs Fotolabor mit Aufnahmeraum, Dunkelkammer und
Fotoarchiv, und schließlich zwei Zimmer, in denen die
Boğazköy-Tafeln untergebracht waren, und zwar die aus Boğazköy
stammenden VAT-Tafeln in geschlossenen Schränken, während sich die
nur auf Zeit geliehenen, dem türkischen Museum gehörigen und mit
dem Kennzeichen "Bo" numerierten Tafeln mit offenen Regalen
begnügen mußten. In diesen zwei Zimmern arbeiteten dann auch die
Hethitologen, die Kopien für die KUB-Hefte herstellten oder Texte
kollationierten.
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Liesel
Ehelolf fotografiert hethitische Tafeln in unübertroffener Qualität
Eine
<wichtige> Aufgabe war durch die leihweise Anwesenheit der
Bo-Tafeln gegeben: Sie mußten alle fotografiert werden. Damit war
Frau Liesel Ehelolf befaßt. Sie hatte eine unübertroffene Methode
entwickelt, Tontafeln unter Vermeidung allzu tiefer Schatten
aufzunehmen. Es handelte sich dabei um ca. 10.000 Bo-Nummern, zu
denen dann noch über 3000 Neufunde hinzukamen.
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Eine
dritte Aufgabe bestand darin, von allen noch unveröffentlichten
Tafeln Umschriften herzustellen, die dem doppelten Zweck dienen
sollten, einmal die zurückzugebenden Tafeln wenigstens auf dem
Papier für später zu behalten, zweitens aber auch einen schnellen
Überblick über das Vorhandene zu gewähren und es damit zu
ermöglichen, Textgattungen zusammenzustellen. Den größten Teil
dieser Arbeit leistete H. Ehelolf selbst; nur einen Bruchteil des
Ganzen ließ er von seinen Schülern C.-G. von Brandenstein, H. G.
Güterbock und H. Otten schreiben.
Dann
kamen die Neufunde! Im Jahre 1931 wurden die Ausgrabungen in Boğazköy
als Gemeinschaftsunternehmen der Deutschen Orient-Gesellschaft und
der Abteilung Istanbul des Deutschen Archäologischen Instituts
wieder aufgenommen, und schon im ersten Jahr entdeckte ihr Leiter, K.
Bittel, auf der Königsburg Büyükkale ein Gebäude, das in dem
ersten freigelegten Trakt 300 Tafelfragmente enthielt. Diesmal ließ
sich die türkische Antikenverwaltung – verständlicherweise! –
nicht auf langfristige Ausleihen der Tafeln ein, sondern setzte eine
feste Frist für die Reinigung, Konservierung und das Fotografieren
in Berlin. Es ist klar, daß dies für alle Beteiligten, das
Laboratorium, die Fotografin und vor allem für Ehelolf selbst, eine
erhebliche Belastung bedeutete. Der Fund von Texten in einem bis
dahin unberührten Teil der Burg und die Aussicht auf mehr Tafeln aus
dem gleichen Gebäude hatten zur Folge, daß die Orient-Gesellschaft
und Ehelolf als ihr Sachverständiger zur Fortsetzung der Grabung
drängten. Für Ehelolf selbst aber bedeutete das eine zunehmende
Belastung. In der sehr kurzen Kampagne von 1932 waren es 800 Tafeln,
die wieder befristet (diesmal auf ein Jahr) ausgeliehen wurden. Im
Sommer 1933 wurde das Gebäude A vollends freigelegt, mit einer
Ausbeute von 2600 Tafelbruchstücken, unter denen sich aber auch fast
vollständige große Tafeln befanden. Diesmal wollte die
Antikenverwaltung nicht alle 2600 Stück auf einmal nach Berlin
ausleihen. Die Gesamtzahl wurde gedrittelt, davon sollte der
ursprünglichen Forderung gemäß der erste Posten zurückgeschickt
werden, bevor der zweite ausgeliehen würde, und so weiter. Erst
während der Arbeit an den ersten tausend Tafeln erreichte man, unter
Hinweis auf die zu erwartenden Textanschlüsse, daß sich die
Leihfristen des ersten und zweiten und dann auch des zweiten und
dritten Postens überschneiden durften. Ich erwähne diese
bürokratisch-technischen Einzelheiten, weil sie für Ehelolf eine
sehr große Belastung bedeuteten. Dank seines eisernen Pflichtgefühls
stellte er alle Umschriften der Tafeln von 1931, 1932 und 1933 selber
her.
Ehelolf
begann stets die neuen Texte sofort zu veröffentlichen. Bereits vor
dem großen Fund von 1933 hatte er begonnen, Bruchstücke aus den
Grabungen von 1931 und 1932 zu kopieren. Angesichts der großen
Ausbeute des nächsten Jahres stellte er aber diese Reinkopien
zurück, bis sie sich mit anderen Fragmenten zu Gruppen oder gar
Tafeln zusammenfügen lassen würden. Nach Ehelolfs Tode hat dann H.
Otten diese Kopien in den Heften 32 und 34 veröffentlicht, und in
der Tat sind viele von ihnen seitdem mit anderen vereinigt worden.
Die
obigen Ausführungen haben gezeigt, wie stark Ehelolf an der
Organisation und Durchführung des ganzen Boğazköy-Projektes
beteiligt war. Dem eingangs erwähnten Ziel einer grammatischen und
lexikalischen Erklärung der Sprache aus sich heraus sollte der
Thesaurus dienen, für dessen Erstellung zuverlässige Texte ja die
unerläßliche Voraussetzung sind.
Hans
Ehelolf war ein Gelehrter von umfassendem Wissen und feinem Gefühl
für die Denkweise fremder Kulturen und vergangener Völker. Wegen
übergroßer Selbstkritik veröffentlichte er die Ergebnisse seiner
Interpretationskunst nur selten, aber seine wenigen
Zeitschriftenartikel sind Meisterwerke und zeigen, was er für die
Hethitologie noch hätte leisten können, wenn er die Früchte seiner
entsagungsvollen Pionierarbeit hätte ernten können. So aber müssen
wir dankbar sein, daß wenigstens das von ihm geschaffene Gebäude
als Basis für die Weiterarbeit erhalten geblieben ist.
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Anmerkungen
1
B. Hrozný, Die Sprache der Hethiter: ihr Bau und ihre Zugehörigkeit
zum indogermanischen Sprachstamm, Leipzig 1917 (Boghazköi-Studien
1-2).
2
Sitzungsberichte der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin,
1919, S. 2029-2041.
3
Boghazköi-Studien 5, Leipzig 1920.
4
Zeitschrift der Deutschen Morgenländischen Gesellschaft 76, 1922, S.
174-269.
5
F. Sommer, Hethitisches, in: Boghazköi-Studien 4, Leipzig 1920;
ders., Hethitisches II, in: Boghazköi-Studien 7, Leipzig 1922.
6
Boghazköi-Studien 10, Leipzig 1924.
7
Keilinschriftliche Bibliothek VI/1, Berlin 1900.
8
F. Sommer, Die Aḫḫijavā-Urkunden,
München 1932; ders., Die hethitisch-akkadische Bilingue des
Ḫattušili
I. (Labarna II.), München 1938.
verkürzter
Text von:
Hans
Gustav Güterbock: „Hans Ehelolf und das Berliner Boğazköy-Archiv“,
in: Das Altertum, Bd. 33/2 (1987) 114-120.